Bunt, schrill – und schmuddelig: Die Neckarstadt-West
von Walter Serif
Ich liebe die Neckarstadt-West. Ein guter Freund von mir, der ebenfalls einen Migrationshintergrund hat, meint, das würde nur daran liegen, dass ich mich in meiner Freizeit nur mit Deutschen treffen und die Wochenenden bei meiner Partnerin in Lörrach verbringen würde.
In der Tat trinke ich öfter Grauburgunder als Eichbaum. Döner und Pizza habe ich erst in der Pandemie häufig gegessen. Aber eine große Liebe erklärt sich mit Gefühlen statt mit Fakten.
Inbegriff des pulsierenden Lebens
Die Neckarstadt-West ist für mich der Inbegriff des pulsierenden Lebens. Da ich viel und laut rede und – vor Corona – den Leuten eng auf die Pelle gerückt bin, fühle ich mich in diesem Stadtteil wohl.
Er ist bunt, schrill – aber leider ein wenig schmuddelig. Deshalb würde ich die Neckarstadt-West nicht als mein Wohnzimmer bezeichnen. Denn zu Hause muss es ordentlich sein. Aber das ist eine andere Geschichte.
Nicht alles ist super
Natürlich weiß ich, dass in meinem Stadtteil nicht alles super ist. Die Schokinag stinkt manchmal wie die Pest bis auf meinen Balkon im Hinterhof. Seitdem ich nicht mehr rauche, ist meine Nase sensibler geworden. Bäh! Und ich bin auch froh, dass ich kein Auto besitze, denn die Parkplatzsituation ist unterirdisch.
Aber: Erstens habe ich ein Fahrrad und profitiere von der sehr guten Anbindung ans Straßenbahnnetz. Und der Hauptbahnhof ist nicht weit für meine Fahrten nach Südbaden.
Angebliche Grenze
Obwohl ich jetzt fast zehn Jahre hier wohne, weiß ich bis heute nicht genau, wo die Neckarstadt-West endet und die Neckarstadt-Ost beginnt. Das finde ich nicht so schlimm, denn auch Alteingesessene sind unsicher. Die Waldhofstraße ist ja angeblich die Grenze.
Aber was soll’s, in einem dreisten Akt der territorialen Aneignung latsche ich ständig auf dem Alten Meßplatz herum. Und mein Feierabendbier trinke ich beim ALTER. Dort gibt’s Musik und manchmal auch Mannheimer Filme umsonst.
Doch was der Schwabe in mir spart, gibt der Kosovo-Albaner wieder an anderer Stelle aus. Und selbstverständlich schaue ich in der Kult-Pizzeria Adria gerne Fußball und treffe mich dort mit Gesprächspartnern auf einen Cappuccino, wenn’s länger dauert, dürfen es auch Penne all’arrabiata sein.
Tja, und leckere Landjäger gibt’s nur beim Metzger in der Langen Rötterstraße. Manchmal ist es hilfreich, wenn der hässliche Bruder noch einen schönen hat.